Am 24. September verhandelt das Bundesverfassungsgericht zu der Abschöpfung von Überschusserlösen durch die Bundesrepublik Deutschland bei bestimmten Erzeugern in der Energiekrise. Der dementsprechend ohnehin schon erbittert geführte Streit um diese sog. „Übererlösabschöpfung“ ist nun im Vorfeld der Verhandlung um eine Facette reicher. Am 23. Juli 2024 erließ ein ICSID-Schiedsgericht eine einstweilige Anordnung gegen Deutschland und untersagte vorläufig die Abschöpfung bei der Schiedsklägerin. Diese Entscheidung betrifft die Frage der Rechtswidrigkeit von sog. Übererlösen bei der Energieerzeugung aus bestimmten Anlagen. Betroffene Unternehmen können sich so ggf. auch mit Mitteln des Investitionsschutzes zur Wehr zu setzen.
Einstweilige Anordnung gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Übererlösabschöpfung durch ICSID-Schiedsgericht
Hintergrund
Am 23. Juli 2024 hat ein ICSID-Schiedsgericht Deutschland im Wege einer bislang unveröffentlichten einstweiligen Anordnung verpflichtet, es zu unterlassen, den befristeten Solidaritätsbeitrag auf Übergewinne für das Jahr 2022 von der Raffinerie Heide GmbH zu fordern oder gegen die Raffinerie Heide GmbH zu vollstrecken. Die Raffinerie Heide und auch die Raffinerie Heide GmbH gehören seit 2010 der Klesch Gruppe. Die Klesch Gruppe hat ihren Sitz in Jersey und vereint eine Reihe von Unternehmen aus der Schwerindustrie.
Die Europäische Union hat auf die starken Preissteigerungen im Strommarkt in Folge der russischen Invasion in der Ukraine unter anderem mit der Verordnung (EU) 1854/2022 reagiert. Die Verordnung regelt im Grundsatz die sog. Abschöpfung von Übergewinnen und verpflichtet die Mitgliedstaaten zu Umsetzungsakten. In Deutschland wurde diese Verordnung durch §§ 14 bis 18 StromPBG umgesetzt. Vereinfacht ausgedrückt, sind bestimmte Anlagenbetreiber verpflichtet, Übergewinne, also Gewinne, die oberhalb eines bestimmten Cap-Preises liegen, abzuführen. Dieser Cap-Preis wird in Deutschland individuell, u.a. nach eingesetzter Energie und ihrer Vermarktung und damit abweichend vom europäischen Cap-Preis von 180 EUR bestimmt. Nach der EU-Vorgabe sollen die Einnahmen aus der Obergrenze Mitgliedstaaten u.a. helfen, Maßnahmen wie Einkommenstransfers, Rechnungsrabatte, Ausgleichsleistungen für Erzeuger, die unterhalb der Kosten liefern, sowie Investitionen zu finanzieren, die zu einer strukturellen Senkung des Verbrauchs führen würden, insbesondere des Verbrauchs von Strom aus fossilen Brennstoffen.
Als Reaktion auf diese Maßnahme haben die Klesch Group Holdings Limited und die Raffinerie Heide GmbH unter dem Energie Charter Vertrag (ECT) eine Schiedsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) erhoben [1]. In dem Verfahren begehren die Klägerinnen Schadensersatz, weil die Übergewinnabschöpfung gegen die Investitionsschutzbestimmungen des ECT verstoßen soll.
Mit Entscheidung vom 23. Juli 2024 hat das Schiedsgericht der Bundesrepublik Deutschland untersagt, eine „solidarity contribution“ (in Deutschland als Übererlösabschöpfung bezeichnet, §§ 16 StromPBG) auf (vermeintliche) „Übergewinne“ für das Jahr 2022 gegen die Raffinerie Heide GmbH geltend zu machen oder zu vollstrecken. Damit unterscheidet sich die Entscheidung des Schiedsgerichts deutlich von einem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 29. April 2024 (3 Kart 459/24). Das OLG hatte deutlich gemacht, dass im Rahmen einer summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Erlösabschöpfungsbeschlusses der Bundesnetzagentur auf Basis des § 17 StromPBG bestünden. Die Frage, ob der Abschöpfungsbetrag überhaupt richtig ermittelt worden sein, eigne sich nicht für ein Eilverfahren. Das gelte auch für die verfassungsrechtlichen Fragen, die hier zu kären wären. Die Frage der Erlösabschöpfung sei gerade nicht vollständig unionsrechtlich determiniert, so dass nicht die Europäische Grundrechtecharta, sondern für die Frage der Rechtmäßigkeit die Regelungen an den Grundrechten zu messen seien. Insbesondere die Frage der Zulässigkeit von Sonderabgaben sei noch nicht derart klar geregelt, dass dies im Wege einer summarischen Prüfung beantworte werden könne. Die Zahlung des geforderten Betrags stelle für die Beschwerdeführerin auch keine unzumutbare Härte dar.
Die Entscheidung und ihre Auswirkungen
Die Entscheidung hat Ausnahmecharakter, denn die Anordnung von einstweiligen Maßnahmen ist in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit an strenge Voraussetzungen geknüpft. Insbesondere muss eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Investors drohen, die durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht wieder gut zu machen ist und die Anordnung muss für den Staat zumutbar also verhältnismäßig sein.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist zumindest nicht evident. Sollte die Raffinerie Heide GmbH den Solidaritätsbeitrag auf Übergewinne aus Sicht des Schiedsgerichts zu Unrecht gezahlt haben, so würde ein Schadensersatzanspruch den Schaden der Klägerinnen voraussichtlich vollständig kompensieren können. Zudem stellt die einstweilige Anordnung einen massiven Eingriff in das nationale Rechtssystem dar, weil es die Erhebung eines Solidaritätsbeitrags untersagt und so direkt in das Finanzwesen der Bundesrepublik Deutschland eingreift. Dies lässt vermuten, dass das Schiedsgericht die Übererlösabschöpfung möglicherweise als Verletzung des ECT ansieht.
Unabhängig davon ermöglicht allein die Existenz der Entscheidung es anderen betroffenen Unternehmen möglicherweise ebenfalls gegen die Zahlung der Übererlösabschöpfung vorzugehen – sei es im Wege einer eigenen ECT-Klage oder durch eine Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 GG. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Übererlösabschöpfung in der anstehenden mündlichen Verhandlung für verfassungswidrig halten, könnte dies weitere Optionen für betroffene Unternehmen zur Rückforderung von bereits geleisteten Zahlungen eröffnen.
Unsere Unterstützung
Gern beraten unsere Experten aus dem Investitionsschutzrecht und Energierecht Sie bei der Bewertung der unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten im Umgang mit der Übererlösabschöpfung und zu möglichen Rückforderungsansprüche nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
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