Am 29. Juni 2024 ist die europäische Netto-Null-Industrie-Verordnung, besser bekannt als „Net Zero Industry Act“ oder „NZIA“, in Kraft getreten, auf die sich Anfang Februar 2024 der Rat und das Europäische Parlament geeinigt hatten. Der NZIA ist als europäische Verordnung (mit Gesetzeskraft) Bestandteil einer umfassenden Neuregelung der „industriellen Klimaneutralität“ durch die EU. Es ist nach wie vor das Ziel, mit diesem Förderprogramm, das im Rahmen des „Green Deals“ ins Leben gerufen wurde, Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Mit einem klaren Fokus auf grüne Technologien zielt der NZIA darauf ab, die europäische Industrie auf ihrem Transformationspfad zu unterstützen und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Der Net Zero Industry Act – Ein erster Schritt auf dem Weg des Industrieplans der Europäischen Union
NZIA als Bestandteil des europäischen Industrieplans
Der NZIA ist ein (erster) Bestandteil eines von der KOM angekündigten Industrieplans. Mit diesem Industrieplan soll Europa in die Lage versetzt werden, im klimaneutralen Industriezeitalter weltweit eine Vorreiterrolle einzunehmen. Der Industrieplan baut auf früheren Initiativen auf und soll die laufenden Bemühungen der EU im Rahmen des europäischen Green Deals und von REPowerEU fördern.
Insgesamt beruht der Kommissionsplan auf vier Säulen:
Ein vorhersehbares und vereinfachtes Regelungsumfeld durch planungssichere und einfachere Regelungen. Mit dieser ersten Säule sollen vor allem drei Initiativen umgesetzt werden. Dazu zählen der NZIA, das Gesetz über kritische Rohstoffe sowie die Strommarktreform. Das Gesetz über kritische Rohstoffe soll den Zugang zu kritischen Rohstoffen (z.B. seltene Erden) sicherstellen, die für die Herstellung von CO2-neutralen Technologien von Bedeutung sind. Die Strommarktreform will Preisschwankungen entgegenwirken, zugleich die Versorgungssicherheit gewährleisten und Vorteile aus der erneuerbaren Stromerzeugung für Stromkunden nutzbar machen. Dabei sollen auch Reallabore gefördert werden.
Die zweite Säule soll mit einem beschleunigten Zugang zu Finanzmitteln schnellere Investitionen und Finanzierungen im europäischen Cleantech-Sektor bewirken. Das betrifft u.a. die Vereinfachung der Beihilfen für den Einsatz erneuerbrer Energie und für die Dekarbonisierung industrieller Prozese, ein Investitionsförderprogramm zugunsten der Produktion CO2-neutraler Technologien und gezieltere Beihilfen zur Stärkung CO2-neutraler Wertschöpfungsketten.
Mit der dritten Säule möchte die KOM – angesichts des Booms neuer Technologien - den Ausbau von Kompetenzen und die Qualifikation von Fachkräften fördern und deren Kompetenzen durch verschiedene Fördermaßnahmen auf- und ausbauen.
Die vierte Säule betrifft die Förderung des offenen Handels „für reißfeste und widerstandsfähige Lieferketten“. Auf diese Weise soll die globale Zusammenarbeit gefördert und die Rolle des Handels für den grünen Wandel gestärkt werden. Dabei gehe es nach der KOM um fairen Wettbewerb und die Beachtung der Verpflichtungen zwischen den EU-Partnern und der WTO. Der Binnemarkt solle dabei weiterhin vor unlauteren Handlespraktiken geschützt werden.
Die Rolle des NZIA als Treiber grüner Technologien in Europa im Überblick
Rechtlich betrachtet ist der NZIA als europäische Verordnung unmittelbar anwendbar und am 29. Juni 2024 in Kraft getreten. Nach Angaben des BMWK bereitet die Bundesregierung derzeit die nationale Durchführung des NZIA vor.
Der NZIA betrifft grundsätzlich alle klimaneutralen Technologien, die einen signifikanten Beitrag zur Dekarbonisierung der Industrie leisten können. Im Wesentlichen will der NZIA einen Rechtsrahmen für Investitionen in klimaneutrale Technologien und deren Förderung bzw. Finanzierung im Rahmen von Auktionen schaffen. Der NZIA soll der Beschleunigung des Bürokratieabbaus dienen und für mehr Investitionen sorgen. Der NZIA steht damit im Kontext eines globalen Subventionsrennens, insbesondere im Vergleich zu den Initiativen anderer führender Wirtschaftsmächte wie den USA und China. Während die USA mit dem Inflation Reduction Act („IRA“) den Ausbau von sogenannten "Clean-Tech"-Unternehmen subventionieren, tätigt China massive Investitionen in grüne Technologien und festigt so die Position als Weltmarktführer in diesem Bereich.
Die Regelungen des NZIA zielen darauf ab, die emissionsneutrale Fertigung in der EU zu fördern und zu gewährleisten, dass bis 2030 für strategische klimaneutrale Technologien mindestens 40 % des jährlichen Bedarfs der EU erreicht werden. So sollen etwa 90 % der Batterien aus europäischer Produktion stammen. Dabei unterscheidet der NZIA zwischen klimaneutralen Technologien und strategischen klimaneutralen Technologien, wie Photovoltaik und Solarthermie, Elektrolyseuren und Brennstoffzellen, Onshore-Windenergie sowie erneuerbarer Offshore-Energie und Batterie- bzw. Lagertechnologien, Wärmepumpen und Geothermie, Biogas und Biomethan, Kohlenstoffabscheidung,- nutzung und -speicherung.
Im Vergleich zu den klimaneutralen Technologien werden die strategischen klimaneutralen Technologien stärker gefördert. Dies zum Beispiel durch die Anwendung von Nachhaltigkeits- und Resilienzkriterien in den Auktionen (gewichtete Zuschlagskriterien, die nicht preisbezogen sind), durch verkürzte Genehmigungs-verfahren oder durch finanzielle Beratungsmöglichkeiten im Rahmen der „Net-Zero Europe“-Plattform.
Inhaltlich befasst sich der NZIA insbesondere mit den folgenden Maßnahmen:
- Schaffung eines vereinfachten und beschleunigten Genehmigungsverfahrens für Projekte zur Herstellung klimaneutraler Technologien
- Festlegung von Kriterien für die Auswahl und Umsetzung strategischer Projekte
- Umsetzung von Maßnahmen zur Erreichung des Ziels, bis zum Jahr 2030 eine jährliche Einspeicherleistung von mind. 50 Mio. Tonnen CO2 im Hoheitsgebiet der EU zu generieren (CO2-Abscheidung und -Speicherung)
- Beschleunigung und Erleichterung der Markterschließung sowie des Marktzugangs für klimaneutrale Technologien
- Verbesserung der Kompetenzen für die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze im Bereich klimaneutraler Technologien, vor allem durch die Einrichtung von europäischen „Net-Zero-Industry“- Akademien
- Innovationsförderung, u. a. durch Reallabore
- Errichtung einer „Net-Zero Europe“-Plattform für die Koordinierung und Überwachung der Maßnahmen
Fazit: Keine ausreichende Antwort
Um den europäischen Produktionsstandort zu festigen und wettbewerbsfähig zu machen, wurde auf eine europäische Antwort schon lange gewartet. Der NZIA soll für die sogenannte „Cleantech“-Branche einen begünstigenden Rechtsrahmen schaffen, der die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie stärkt und die Investitionsmöglichkeit in grüne Technologien erleichtert sowie die EU als Produktionsstandort attraktiver werden lässt. Insgesamt erscheint der NZIA als Bestandteil eines europäischen Industrieplans als ein erster Schritt, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken. Da derzeit die einzelnen Maßnahmen jedoch noch wenig greifbar sind, bleibt abzuwarten, wie sich der NZIA tatsächlich auswirken wird. Vor allem gelänge eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie durch die Vereinfachung regulatorischen Zwänge. Der NZIA bleibt (noch) die Antwort schuldig, wie der Zielkonflikt zwischen der Förderung der Industrie und die Erreichung der Ausbauziele für erneuerbare Energie aufgelöst werden kann. Dass dies kein Widerspruch sein muss, zeigen zwar durchaus Praxisbeispiele. Aber in der Gesamtbetrachtung erscheint die Vereinbarkeit von Preisgünstigkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit weiterhin als ein ungelöstes „weites Feld“. Zudem greift der NZIA für die vorgesehenen Förderungen „nur“ auf ohnehin bestehende EU-Fördertöpfe zurück, sodass er auch insofern im Vergleich zur neu geschaffenen Förderung des US-amerikanischen IRA keine ausreichende Antwort geben kann.
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